Dienstag, April 25, 2017

Kopftuchverbot? Islamgesetz? Nee, aber ...

In öffentlichen Ämtern sind Bedienstete nicht bloß sich selbst verantwortlich, sondern auch denen sie Dienste leisten. Deshalb dürfen Vorschriften sein, die den überwiegenden, gesellschaftlichen Erwartungen genügen, z.B. bishin zu Uniformvorschriften, z.B. "Burkaverbot bei der Feuerwehr", es sei denn, neuartige Burka-Materialien und Schnitte wären erweislich geeigneter.

Wäre alles beliebig, so dürften uns ebenso Beamte mit Rocker-Kutte kommen oder als Nudisten im Nackedei die polizeiliche Blutprobe nehmen, weil sie ihre Aufmachung für ihre ideologische Haut halten und vom Grundgesetz geschützt.
Das würde nicht bloß meiner Mutter missfallen, während mich die Vorstellung zumindest amüsiert.

Aber ich verwahre mich gegen meine Mama ;-) und religiöse Fanatiker, wenn sie glauben, sie dürften ihre Überzeugungen ernster nehmen als ich ihnen gegenüber meine Überzeugungen,
zumal jede Überzeugungstiefe weit weniger oberflächlich ist als sich in Bekleidungen ausdrücken lässt, wie jeder weiß, dass nicht hinter jedem weißen Kragen auch reines Gewissen ist, wie auch nicht unter jed' Hut, Kippa, Turban, Schleier oder Fahrradhelm bei Ampelrot.

Im Unterschied zum öffentlichen Dienst dürfte hingegen ich als freier Unternehmer sehr wohl auch im Tigerfell oder Taucheranzug rumlaufen, denn es wäre einzig meine Privatsache und mein persönliches Risiko, wenn mir Mandanten und Kunden weglaufen.

Wäre ich hingegen Richter, so wäre Bekleidungsgebot, denn Angeklagte dürfen sich ihren Richter nicht aussuchen, sollen sich dann aber auch nicht gefallen lassen müssen, dass ihnen jemand mit Dornen- oder Kaiserkrone Urteil spricht, sondern nach bestem Gewissen "im Namen des Volkes" und dessen Autorität - tunlichst unbeschadet seitens Sonderlichkeiten in der Person des Richters.

Und trotzdem ist dieser Richter nun auch ein Beispiel dafür, dass es "anders geht", denn auch hierzulande wechselten die Standards und weil es sich in anderen Ländern bewährt, dass eine Richterin mit Kopftuch nicht schlechter wäre.

Aber die Rücksichtnahme auf Mehrheiten ist nicht bloß Schwäche, sondern Stärke, wie allerdings auch umgekehrt. - Also Reformen dürfen sein.

Keine Freiheit ist grenzenlos. Sondern die Grenzen verschieblich. Und möglichst demokratisch von breiterem Willen getragen.
Dafür kann man plädieren, aber wer es erzwingen will - und sei es gerichtlich oder mit knappen, parlamentarischen Mehrheiten, tut der Freiheit nur selten Gefallen, sondern stresst den gesellschaftlichen Frieden.

Und andersherum sollte keine religiöse Interpretation so gnadenlos sein, ihre Anhänger in Bekleidungsgebote zum Missfallen anderer aufzufordern.

Mag sein, dass ich irre und es Paradiese gibt, in denen allen Menschen alles erlaubt ist und obendrein von allen anderen begrüßt. Aber in Gesellschaften unseres Planeten bewährt sich die Rücksichtnahme und Selbstbescheidung allemal besser als die bloße Selbstgerechtigkeit, auch wenn sich die Selbstgerechtigkeit als religiöse Demut versteht, aber dann geht eben auch nicht jeder Job für jeden - und man ertrage seine Überzeugung als Schicksal. Wobei sich immer lohnt, den Rest der Menschheit nicht für bekloppt zu halten, sondern auch eigene Überzeugungen zu hinterfragen.

So, das war nun wirklich kein Plädoyer gegen Kopftücher und Taucherbrillen, sondern Plädoyer gegen allzu eifrige Streiter, was alles Freiheit oder gar wichtiger als gesellschaftlicher Frieden sei.

LG

Montag, März 03, 2008

Schweizer Bundesgericht zum Kopftuch

Urteile vom 27. Februar 2008 (1D_11/2007 und 1D_12/2007)
AARGAUER STREITIGKEITEN UM NICHTEINBÜRGERUNGEN WEGEN TRAGENS
DES KOPFTUCHES; BESCHWERDEN VOM BUNDESGERICHT GUTGEHEISSEN


Das Bundesgericht überprüft zwei kommunale Entscheide aus dem Kanton Aargau, mit denen Einbürgerungen wegen des Kopftuches als religiösem Symbol verweigert worden sind. Das blosse Tragen des Kopftuches bringt keine Haltung mangelnden Respekts vor der Verfassungsordnung zum Ausdruck.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerden insoweit gut und weist die Verfahren an die Gemeinden zu neuem Entscheid zurück. Hingegen wird die Beschwerde einer Gesuchstellerin abgewiesen, bei der ungenügende Sprach- und Staatskundekenntnisse die Nichteinbürgerung ungeachtet des Tragens des Kopftuches zulassen.

Die angefochtenen negativen Einbürgerungsentscheide aus zwei Aargauer Gemeinden
(Gemeinden Birr und Buchs) stellen einzig auf das Tragen des Kopftuches als religiösem Symbol ab. Aus der Begründung der kommunalen Beschlüsse ergibt sich eine rechtsungleiche d.h. diskriminierende Behandlung der Einbürgerungswilligen. Eine solche Behandlung lässt sich nicht rechtfertigen.

Die Übung, das Kopftuch zu tragen, gilt als Ausdruck eines religiösen Bekenntnisses.
Sie wird durch die verfassungsrechtliche Glaubens- und Gewissensfreiheit im Grundsatz
geschützt und ist im Lichte des Diskriminierungsverbots im Einzelfall zu werten.

Das blosse Tragen des Kopftuches bringt keine Haltung mangelnden Respektes vor der Verfassungsordnung zum Ausdruck. Für sich genommen, zeigt sich darin keine Herabminderung von Frauen. Es ist weder behauptet noch konkret belegt worden, dass die Gesuchsteller die Geschlechtergleichheit und grundlegende Werte unserer Gesellschaft missachten oder eine entsprechende Haltung an den Tag legen.

Vor diesem Hintergrund hat das Bundesgericht die Beschwerde der einen Gesuchstellerin
gutgeheissen, die das Kopftuch trägt. Im zweiten Verfahren hat es der Beschwerde
eines Ehemanns entsprochen, dessen Ehefrau das Kopftuch trägt. Demgegenüber ist
die Beschwerde der Ehefrau abgewiesen worden; deren ungenügende Sprach- und
Staatskundekenntnisse lassen die Nichteinbürgerung ungeachtet des Tragens des Kopftuches in diskriminierungsfreier Weise vor der Verfassung rechtfertigen. Soweit die kommunalen Beschlüsse aufgehoben werden, sind die Einbürgerungssachen an die Gemeinden zu neuem Entscheid zurückgewiesen worden.


Lausanne, 3. März 2008 >> http://www.bger.ch
>> www.inidia.de/kopftuchstreit.htm
>> www.diskussionen.de

Donnerstag, Oktober 11, 2007

Hessisches Kopftuchurteil

P.St. 2016 - Pressemitteilung Wiesbaden, den 10. Dezember 2007
Staatsgerichtshof des Landes Hessen

I. In dem Normenkontrollverfahren zur Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von
§ 68 Abs. 2 des Hessischen Beamtengesetzes (in der Fassung von Art. 1 Nr. 2 des
Gesetzes zur Sicherung der staatlichen Neutralität) und § 86 Abs. 3 des Hessischen
Schulgesetzes (in der Fassung von Art. 2 Nr. 1 des Gesetzes zur Sicherung der
staatlichen Neutralität) hat der Staatsgerichtshof heute entschieden:

Die genannten Vorschriften sind mit der Verfassung des Landes Hessen vereinbar.
Die Hessische Verfassung gebietet Beamten und anderen staatlichen Bediensteten,
sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Es ist mit
dem verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot unvereinbar, wenn Lehrer und Beamte
im Dienst Kleidungsstücke, Symbole oder andere Merkmale tragen oder verwenden,
die objektiv geeignet sind, das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen
oder den Schul- oder Dienstfrieden zu gefährden.
Dem Verfahren lag ein Normenkontrollantrag der Landesanwaltschaft zu Grunde. Sie
hielt die Vorschriften für verfassungswidrig und hatte beantragt, sie für nichtig zu erklären.
Der Antrag hatte keinen Erfolg.

II. Mit seinem heutigen Urteil hat der Staatsgerichtshof entschieden, dass die angefochtenen
Vorschriften mit der Hessischen Verfassung vereinbar sind. Sie verstoßen insbesondere
nicht gegen die Glaubensfreiheit (Art. 9 Hessische Verfassung - HV -), die freie Religionsausübung (Art. 48 Abs. 1 HV), das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen
Ämtern (Art. 134 HV) oder das Gebot der Gleichbehandlung von Frau und Mann.

In seiner Entscheidung hat der Staatsgerichtshof klar gestellt, dass sich die angefochtenen
Bestimmungen nicht speziell gegen das islamische Kopftuch richten.
Vielmehr erfassen sie alle religiösen Symbole, die den Eindruck vermitteln können,
dass der Amtsträger, der sie im Dienst verwendet, sein Amt nicht in der gebotenen
Neutralität ausübt. Beim Verbot religiöser Symbole hat der Gesetzgeber die Grundrechte
der Beamten und Lehrer, ihre Religion auch im Berufsleben frei und unbeschränkt
auszuüben, mit Grundrechten Dritter, etwa der Bürger, die die Behörden in
Anspruch nehmen, oder der Schülerinnen und Schüler, ihrer Eltern oder auch der
Kolleginnen und Kollegen am Arbeitsplatz sowie mit sonstigen Gemeinschaftsgütern
von Verfassungsrang in einen angemessenen Ausgleich gebracht.
Zu den abzuwägenden Grundrechten Dritter zählt in erster Linie das Grundrecht auf
negative Glaubensfreiheit. Dieses Grundrecht gewährt auch Schutz davor, ohne
Ausweichmöglichkeit dem Einfluss religiöser Symbole ausgesetzt zu sein, wenn sie
von Amtsträgern im Dienst getragen werden. Weitere Verfassungsgüter, die bei der
Abwägung zu berücksichtigen waren, sind etwa der Grundsatz der politischen, religiösen
und weltanschaulichen Neutralität des Staates, das staatliche Toleranzgebot
und Beeinflussungsverbot sowie die hergebrachten Grundsätze des Berufsbeamtentums.
Für den schulischen Bereich war es das Erziehungsrecht der Eltern, der staatliche
Bildungs- und Erziehungsauftrag sowie das Interesse an der Aufrechterhaltung
eines geordneten Schul- und Dienstbetriebes. Dazu gehört auch der Schul- und
Dienstfrieden.
Dem Gesetzgeber steht nach der Entscheidung des Staatsgerichtshofs bei der Abwägung
der widerstreitenden Grundrechte der Lehrkräfte und Beamten auf der einen
Seite mit den genannten Grundrechten und Verfassungsgütern auf der anderen Seite ein Beurteilungsspielraum zu. Das gilt auch für die Einschätzung der möglichen Gefahren,
die mit dem Verhalten verbunden sein können, das durch die angefochtenen
Normen verboten wird. Dieser Beurteilungsspielraum ist auch vom Staatsgerichtshof
zu beachten. Er kann nur feststellen, ob sich das Ergebnis dieser Abwägung innerhalb
des verfassungsrechtlich zulässigen Beurteilungsspielraums bewegt. Das hat
der Staatsgerichtshof hier bejaht.
Die Hessische Verfassung gebietet Beamten und anderen staatlichen Bediensteten,
sich im Dienst politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten. Dieses
verfassungsrechtliche Gebot hat der Gesetzgeber verfassungskonform ausgestaltet
und konkretisiert und dabei die einschlägige bundesverfassungsgerichtliche Rechtsprechung
berücksichtigt. Mit dem verfassungsrechtlichen Neutralitätsgebot der
staatlichen Bediensteten ist unvereinbar, wenn im Dienst Kleidungsstücke, Symbole
oder andere Merkmale getragen oder verwendet werden, die objektiv geeignet sind,
das Vertrauen in die Neutralität der Amtsführung zu beeinträchtigen oder den Schuloder
Dienstfrieden zu gefährden. Deshalb war der Gesetzgeber verfassungsrechtlich
nicht gezwungen, auf die individuellen Motive der einzelnen Bediensteten abzustellen.
Der Staatsgerichtshof hatte nicht über eine Beamtin oder Lehrkraft zu entscheiden,
die im Dienst ein Kopftuch tragen wollte. Ihm war nur das Gesetz selbst zur Prüfung
vorgelegt. Anlass der gesetzlichen Regelung war zwar die rechtliche Problematik des
Tragens islamischer Kopftücher im Dienst. Der Gesetzgeber hat bei der Formulierung
des gesetzlichen Verbotes nicht auf das Kopftuch oder ein anderes genau bezeichnetes
Kleidungsstück, Symbol oder Merkmale abgestellt, sondern eine allgemeine
Regelung getroffen. Es ist nicht die Aufgabe des Staatsgerichtshofs, im abstrakten
Normenkontrollverfahren jedes erdenkliche Kleidungsstück, Merkmal oder
Symbol zu überprüfen, das unter das Gesetz fallen könnte. Deshalb war es nicht
Aufgabe des Staatsgerichtshofs, ohne konkreten Anlass im Einzelnen zu bestimmen,
welche Kleidungsstücke, Symbole oder Merkmale – wie z.B. das islamische Kopftuch,
die Bhagwan-Kleidung, auffälliger christlicher Schmuck oder die Nonnentracht
– nach den gesetzlichen Vorschriften verboten sein sollten. Nach dem in der Verfassung
verankerten Grundsatz der Gewaltenteilung ist die Auslegung des Gesetzes in
erster Linie Aufgabe der Verwaltung, deren Entscheidung die Fachgerichte überprüfen.

Die angegriffenen Normen enthalten auch keine verfassungsrechtlich unzulässige
Privilegierung des Christentums. Die christlich und humanistisch geprägte Tradition
des Landes Hessen spiegelt sich in der gesamten Werteordnung der Hessischen
Verfassung wider. Für den Bereich der Schule und Erziehung kommt dies besonders
anschaulich in Erwähnung der Nächstenliebe in Art. 56 der Hessischen Verfassung
zum Ausdruck. Hierin sieht sich der Staatsgerichtshof im Einklang mit dem Bundesverfassungsgericht
und dem Bundesverwaltungsgericht in ähnlichen Fällen.

III. Fünf Mitglieder des Staatsgerichtshofs vertreten abweichende Meinungen.
Die Mitglieder des Staatsgerichtshofs Georg D. Falk, Paul Leo Giani, Dr. Harald
Klein, Prof. Dr. Klaus Lange und Rupert von Plottnitz treten übereinstimmend der von
der Mehrheit des Staatsgerichtshofs vertretenen Auffassung entgegen, es bedürfe
keiner Entscheidung, ob die zur Überprüfung ihrer Verfassungsmäßigkeit vorgelegten
Normen das Tragen eines Kopftuchs islamischer Provenienz verbieten und mit
diesem Inhalt mit der Hessischen Verfassung vereinbar seien. Damit ignoriere das
Urteil die vom Landesgesetzgeber unmissverständlich zum Ausdruck gebrachte Regelungsabsicht, mit welcher dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom
24. September 2003 (BVerfGE 108, 282) habe Rechnung getragen werden sollen.
Danach ist ein Kopftuchverbot nur auf der Grundlage einer eindeutigen landesgesetzlichen
Grundlage mit dem Grundgesetz vereinbar. Wenn den vorgelegten Normen
ein Kopftuchverbot nicht eindeutig zu entnehmen sei, könne das Tragen eines
islamischen Kopftuchs in den von den vorgelegten Normen erfassten Bereichen in
Hessen nicht verboten werden. Das stünde im Gegensatz zum Willen des Gesetzgebers.
Darüber hinaus seien die den Beamtenbereich betreffende Regelung in § 68 Abs. 2
Satz 2 HBG unvereinbar mit der Hessischen Verfassung. Hierdurch werde allgemein
das religiös motivierte Tragens von Kopftüchern oder von anderen religiösen oder
politischen Kennzeichen verboten. Dies gebe es in keinem anderen Bundesland und
richte sich unterschiedslos an alle hessischen Landesbeamten, ohne nach hoheitlichem
und sonstigem Tätigwerden zu unterscheiden. Grundrechtliche Kollisions- und
Gefährdungslagen hinsichtlich des Grundrechts auf negative Glaubensfreiheit, die
dies rechtfertigen könnten, seien für den Bereich der allgemeinen Landesverwaltung,
also zum Beispiel für beamtete Postbotinnen, Sachbearbeiterinnen im Katasteramt
oder Beamtinnen im mittleren Dienst eines Gerichts, nicht ersichtlich. Selbst wenn
man die Ansicht der Mehrheit teilen würde, dass hergebrachte Grundsätze des Berufsbeamtentums in Hessen die vorbehaltlos gewährleistete Religionsfreiheit hessischer
Beamtinnen und Beamten einzuschränken vermögen, wäre ein solcher Eingriff
jedenfalls unverhältnismäßig und daher verfassungswidrig. Darüber hinaus stelle es
einen Verstoß gegen das Gleichheitsgebot dar, dass der Gesetzgeber Beamte und
Angestellte - auch bei gleichem Tätigkeitsbereich - verschieden behandelt.
Die Richter Giani, Prof. Dr. Lange und von Plottnitz sehen auch § 68 Abs. 2 Satz 3
des Hessischen Beamtengesetzes und § 86 Abs. 3 Satz 3 des Hessischen Schulgesetzes
als verfassungswidrig an, da diese Normen auf eine verfassungsrechtlich unzulässige
Privilegierung christlich geprägter Kleidungsstücke, Symbole oder anderer
Merkmale abzielten. Die von der Mehrheit vorgenommene inhaltliche Veränderung
dieser Normen im Wege der verfassungskonformen Auslegung müsse daran scheitern,
dass sie deren Wortlaut, ihrem Sinnzusammenhang und der Intention des Gesetzgebers
zuwiderlaufe.
Das Mitglied des Staatsgerichtshofs Prof. Dr. Lange hält darüber hinaus die Auslegung
des § 86 Abs. 3 Satz 2 des Hessischen Schulgesetzes in dem vom Gesetzgeber
gewollten Sinne eines Kopftuchverbots für unvereinbar mit der Hessischen Verfassung.
Sie widerspreche nicht nur der Religionsfreiheit und dem Recht auf gleichen
Zugang zu öffentlichen Ämtern, sondern insbesondere auch dem in Art. 56 Abs. 3
und 4 der Hessischen Verfassung verankerten Toleranzgebot als einem der obersten
Erziehungsgrundsätze der Hessischen Verfassung. Wenn eine Lehrerin auf Grund
ihrer religiösen Überzeugung ein Kopftuch trage, stelle dies für sich allein keine Gefährdung
der Neutralität des staatlichen Unterrichts dar, die vor dem Hintergrund des
Toleranzgebots eine Einschränkung der Religionsfreiheit der Lehrerin und ihres
Rechts auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern rechtfertigen könne. Um des
Schulfriedens willen einer Lehrerin das Tragen eines islamischen Kopftuchs zu verbieten,
sei mit dem Toleranzgebot ebenfalls unvereinbar. Der für die schulische Erziehung
in Hessen geltende Verfassungsgrundsatz der Duldsamkeit sei nicht nur von
den Lehrkräften, sondern auch von Schülern und Eltern zu respektieren.

Das vollständige Urteil (nebst Sondervoten) kann von der Homepage des Staatsgerichtshofs
unter www.staatsgerichtshof.hessen.de abgerufen werden.

Montag, August 29, 2005

OVG: Kopftuchverzicht für Lehrerinnen

Internet 29.08.2005

Mittwoch, November 03, 2004

Kopftuch-Islam?

Antiislamismus und Antiamerikanismus sind die Hauptseuchen unserer Zeit. Mit Hochgenuss feiern reaktionäre Politiker die Kopftuchverbote gegen Muslime und mit Hochgenuss feiern reaktionäre Muslime jeden Terroranschlag, selbst wenn er Muslime trifft, wie zur Zeit jeden Tag im Irak.
Es ist dieser falsch verstandene Djihad, der eigentlich den Islam nur verteidigen darf, es ist dieser falsch verstandene Kreuzzug, der eigentlich niemals töten darf, sondern eher sich selbst das Kreuz tragend in die Passion nehmen lässt. Dazu mehr unter www.inidia.de/antiislamismus.htm

Doch dieser Blog heißt "Kopftuch" und soll sich auch damit befassen.

Die mir wichtigsten Thesen lauten:

1. Ich kritisiere solche Politiker, die so tun, als sei ein Kopftuchverbot im Hinblick auf die Religionsfreiheit unproblematisch und als gebe es mehr Grund zur Eile als zum Dialog.

2. Ich kritisiere solche Muslime, die aus dem Islam eine Kopftuchreligion machen und zu leugnen versuchen, dass Mädchen und Frauen massenweise zum Kopftuchtragen gezwungen werden

Und wer sich von diesen selbsternannten Kopftuch-Propheten wirklich Sorgen um die Moral machen würde, der hätte genug mit den Männern zu üben, denn das meiste Unrecht an Frauen geschieht nicht durch "weibliche Verführung", sondern durch mangelnde Selbstbeherrschung der Männer.

Mittwoch, März 24, 2004

Kopftuch im Gerichtssaal ?

Berlin, den 23.03.2004

Pressemitteilung 15/2004

Bezug nehmend auf die Presseberichterstattung der letzten Tage zum Tragen von Kopfbedeckungen im Gerichtssaal hat der Präsident des Amtsgerichts Tiergarten, Gerhard Offenberg, heute wie folgt Stellung genommen:

„Nach § 175 Abs. 1 GVG kann der Vorsitzende Richter Zuhörern den Zutritt zu öffentlichen Verhandlungen versagen bzw. sie aus dem Sitzungssaal verweisen, die in einer der Würde des Gerichts nicht entsprechenden Weise erscheinen. Diese Entscheidung liegt im Ermessen des jeweiligen Richters. Es ist zurzeit noch weitgehend üblich, dass in geschlossenen Räumen keine Kopfbedeckungen getragen werden. Aus diesem Grund forderte der Jugendrichter – wie in allen seinen Sitzungen – die Zuhörer auf, ihre Kopfbedeckungen abzunehmen; im konkreten Fall erklärte er der Mutter des volljährigen Angeklagten, sie könne im Sitzungssaal bleiben, müsse dann aber ihr Kopftuch abnehmen. Diese verließ daraufhin freiwillig den Sitzungssaal, ohne darauf hinzuweisen, dass es ihr aus religiösen Gründen nicht gestattet sei, dass Kopftuch abzunehmen.

Eine Überprüfung dieser Ermessensentscheidung im Wege der Dienstaufsicht ist nicht zulässig. Der Richter unterliegt einer Dienstaufsicht nur, soweit nicht seine Unabhängigkeit beeinträchtigt wird (§ 26 Abs. 1 DRiG). Sitzungspolizeiliche Maßnahmen fallen in den Kernbereich der richterlichen Tätigkeit und dürfen daher im Wege der Dienstaufsicht weder überprüft noch kommentiert werden. Eine Ausnahme würde nur dann gelten, wenn die Maßnahme ohne jeden Zweifel und offensichtlich falsch wäre, d.h., wenn sie gegen den eindeutigen Wortlaut des § 175 Abs. 1 GVG verstoßen würde. Dies ist jedoch nicht der Fall. Eine Überprüfung kann daher nur im Rechtsmittelwege erfolgen. Nach § 338 Ziff. 6 StPO liegt ein absoluter Revisionsgrund vor, wenn ein Urteil aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergeht, bei der die Vorschriften über die Öffentlichkeit der Verhandlung verletzt worden sind.“

Mittwoch, September 24, 2003

BVerfG: Lehrerin mit Kopftuch

Ein Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zutragen, findet im geltenden Recht des Landes Baden-Württemberg keine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage.
Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann für den Gesetzgeber Anlass zu einer Neubestimmung des zulässigen Ausmaßes religiöser Bezüge in der Schule sein. Dies hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts mit heute verkündetem Urteil entschieden.

Auf die Verfassungsbeschwerde der Lehrerin, die ihre Einstellung als Beamtinauf Probe in den Schuldienst des Landes Baden-Württemberg anstrebt, hat der Zweite Senat festgestellt, dass die entgegenstehenden Entscheidungen der Verwaltungsgerichte und der zuständigen Behörden des Landes Baden-Württemberg die Beschwerdeführerin (Bf) in ihren Rechtenaus Art. 33 Abs. 2 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 und 2 und mit Art. 33 Abs. 3 des Grundgesetzes verletzen.

Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtswurde aufgehoben und die Sache dorthin zurückverwiesen. Die Entscheidung ist mit fünf gegen drei Stimmen ergangen.

Wegen der Einzelheiten des dem Verfahren zu Grunde liegenden Sachverhalts wird auf die Pressemitteilung Nr. 40/2003 vom 16. Mai2003 verwiesen.

1. Der Senat hat im Wesentlichen ausgeführt:Der zu Grunde liegende Sachverhalt betrifft mehrereverfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen: Jedem Deutschen ist nach Maßgabe seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleicher Zugang zu jedem öffentlichen Amt eröffnet. Dabei ist ein Zusammenhang zwischen der Zulassung zu öffentlichen Ämtern und dem religiösen Bekenntnis ausgeschlossen.

Das Tragen eines Kopftuchs durch die Bf in Schule und Unterricht fällt unter den Schutz des Grundrechts der Glaubensfreiheit.

Mit diesem Grundrecht treten neben dem staatlichen Erziehungsauftrag die Verfassungsgüter des elterlichen Erziehungsrechts und die negative Glaubensfreiheit der Schulkinderin Widerstreit.
Dazu heißt es in der Entscheidung unter anderem: Die dem Staat gebotene religiös-weltanschauliche Neutralität ist nicht im Sinne einer strikten Trennung von Staat und Kirche, sondern als eine offene und übergreifende, die Glaubensfreiheit für alle Bekenntnisse gleichermaßen fördernde Haltung zu verstehen. Dies gilt insbesondere auch für den Bereich der Pflichtschule.

Christliche Bezüge sind bei der Gestaltung der öffentlichen Schule nicht schlechthin verboten; die Schule muss aber auch für andere weltanschauliche und religiöse Inhalte und Werte offen sein.

In dieser Offenheit bewahrt der freiheitliche Staat des Grundgesetzes seine religiöse und weltanschauliche Neutralität. Indem die Bf durch das Tragen des Kopftuchs in Schule und Unterricht die Freiheit in Anspruch nimmt, ihre Glaubensüberzeugung zu zeigen, wird die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler, nämlich kultischen Handlungen eines nicht geteilten Glaubens fernzubleiben, berührt.

In einer Gesellschaft mit unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen gibt es allerdings kein Recht darauf, von Bekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen eines fremden Glaubens verschont zu bleiben.

Die Länder haben im Schulwesen umfassende Gestaltungsfreiheit. Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen positiver Glaubensfreiheit eines Lehrers einerseits und der staatlichen Pflicht zu weltanschaulich-religiöser Neutralität, dem Erziehungsrecht der Eltern sowie der negativen Glaubensfreiheit der Schüler andererseits unter Berücksichtigung des Toleranzgebots hat der demokratische Landesgesetzgeber zu lösen, der im öffentlichen Willensbildungsprozess eine für alle zumutbare Regelung zu suchen hat.
Dabei können die einzelnen Länder zu verschiedenen Regelungen kommen. Bei dem zufindenden Mittelweg dürfen auch Schultraditionen, konfessionelle Zusammensetzung der Bevölkerung und ihre mehr oder weniger starkereligiöse Verwurzelung berücksichtigt werden.
Diese Grundsätze gelten auch, wenn Lehrern unter Beschränkung ihres individuellen Grundrechts der Glaubensfreiheit für ihr Auftreten und Verhalten in der Schule mit Rücksicht auf die Wahrung der weltanschaulich-religiösen Neutralität des Staates Pflichten auferlegt werden sollen.
Bringen Lehrkräfte religiöse oder weltanschauliche Bezüge in Schule und Unterricht ein, kann dies den in Neutralität zu erfüllenden staatlichen Erziehungsauftrag, das elterliche Erziehungsrecht und die negative Glaubensfreiheit der Schülerinnen und Schüler beeinträchtigen. Es ist zumindest möglich, dass dadurch Schulkinder beeinflusst und Konflikte mit Eltern ausgelöst werden, die den Schulfrieden stören und die Erfüllung des Erziehungsauftrags der Schule gefährden können.
Auch die Bekleidung von Lehrern, die als religiös motiviert verstanden werden kann, kann so wirken. Dies sind aber lediglich abstrakte Gefahren. Sollen bereits derartige bloße Möglichkeiten einer Gefährdung oder eines Konflikts auf Grund des Auftretens der Lehrkraft und nicht erst deren konkretes Verhalten als Verletzung beamtenrechtlicher Pflichten oder als Eignungsmangel bewertet werden, so ist eine hinreichend bestimmte gesetzliche Grundlage erforderlich. Denn diese Bewertung geht mit einer Einschränkung des vorbehaltlos gewährten Grundrechts aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG einher.

Der Senat führt hierzu im Einzelnen aus:

Der Aussagegehalt des von Musliminnen getragenen Kopftuchs wird höchst unterschiedlich wahrgenommen.

Es kann ein Zeichen für als verpflichtend empfundene, religiös fundierte Bekleidungsregeln wie für Traditionen der Herkunftsgesellschaft sein.
In jüngster Zeit wird in ihm verstärkt ein politisches Symbol des islamischen Fundamentalismus gesehen.
Die Deutung des Kopftuchs kann jedoch nicht auf ein Zeichengesellschaftlicher Unterdrückung der Frau verkürzt werden. Dies zeigen neuere Forschungsergebnisse. Junge muslimische Frauen wählen dasKopftuch auch frei, um ohne Bruch mit der Herkunftskultur ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
Insoweit ist nicht belegt, dass die Bf allein dadurch, dass sie ein Kopftuch trägt, etwa muslimischen Schülerinnen die Entwicklung eines den Wertvorstellungen des Grundgesetzes entsprechenden Frauenbildes oder dessen Umsetzung im eigenen Leben erschweren würde.

Für die Frage, ob das Tragen eines Kopftuchs in Schule und Unterricht einen Eignungsmangel begründet, kommt es darauf an, wie das Kopftuchauf einen Betrachter wirken kann.
Hinsichtlich der Wirkung religiöser Ausdrucksmittel ist entscheidend, ob das in Frage stehende Zeichen auf Veranlassung der Schulbehörde oder aufgrund eigener Entscheidung voneiner einzelnen Lehrkraft in Ausübung ihrer Glaubensfreiheit verwendet wird. Duldet der Staat in der Schule eine religiös deutbare Bekleidung von Lehrern, die diese auf Grund individueller Entscheidung tragen, sokann dies mit einer staatlichen Anordnung, religiöse Symbole in derSchule anzubringen, nicht gleichgesetzt werden.

Der Staat macht mitder Hinnahme einer bestimmten Bekleidung einer einzelnen Lehrerin dieseAussage nicht schon dadurch zu seiner eigenen und muss sie sich auchnicht als von ihm beabsichtigt zurechnen lassen.
Ein von der Lehrerin aus religiösen Gründen getragenes Kopftuch kann allerdings deshalb besonders intensiv wirken, weil die Schüler für die gesamte Dauer des Schulbesuchs mit der im Mittelpunkt des Unterrichtsgeschehens stehenden Lehrerin ohne Ausweichmöglichkeit konfrontiert sind. Es fehlt jedoch eine gesicherte empirische Grundlage für die Annahme, dass vom Tragen des Kopftuchs bestimmende Einflüsse auf die religiöse Orientierung der Schulkinder ausgehen. Die in der mündlichen Verhandlung dazu angehörten Sachverständigen konnten von keinen gesicherten Erkenntnissen über eine solche Beeinflussung von Kindern aus entwicklungspsychologischer Sicht berichten.
Für ein mit der Abwehr bloß abstrakter Gefährdungen begründetes vorbeugendes Verbot für Lehrkräfte, in Schule und Unterricht ein Kopftuch zu tragen, reicht die im Land Baden-Württemberg geltende beamten- und schulrechtliche Gesetzeslage nicht aus. Dies wird in der Entscheidung im Einzelnen näher begründet.
Dem zuständigen Landesgesetzgeber steht es frei, die bislang fehlende gesetzliche Grundlage zu schaffen. So kann er im Rahmen der verfassungsrechtlichen Vorgaben das zulässige Maß religiöser Bezüge in der Schule neu bestimmen.
Dabei hat er die grundrechtlich geschützten Rechtspositionen der Lehrer, der Schüler, der Eltern und die Pflichtdes Staates zu weltanschaulich-religiöser Neutralität angemessen zu berücksichtigen.

Der mit zunehmender religiöser Pluralität verbundene gesellschaftliche Wandel kann Anlass sein, das zulässige Ausmaß religiöser Bezüge in der Schule neu zu bestimmen.

Die Schule ist der Ort, an dem unterschiedliche religiöse Auffassungen unausweichlich aufeinandertreffen und wo sich dieses Nebeneinander in besonders empfindlicher Weise auswirkt.
Es lassen sich Gründe dafür anführen,die zunehmende religiöse Vielfalt in der Schule aufzunehmen und als Mittel für die Einübung von gegenseitiger Toleranz zu nutzen, um so einen Beitrag in dem Bemühen um Integration zu leisten.

Mit der beschriebenen Entwicklung ist aber auch ein größeres Potential möglicher Konflikte in der Schule verbunden. Es mag deshalb auch gute Gründe dafür geben, der staatlichen Neutralitätspflicht im schulischen Bereich eine striktere und mehr als bisher distanzierende Bedeutung beizumessen und demgemäß auch durch das äußere Erscheinungsbild einer Lehrkraft vermittelte religiöse Bezüge von den Schülern grundsätzlich fern zu halten, um Konflikte mit Schülern, Eltern oder anderen Lehrkräften von vornherein zu vermeiden.

Wie auf die gewandelten Verhältnisse zu antworten ist, hat nicht die Exekutive zu entscheiden.

Vielmehr bedarf es hierfür einer Regelung durch den demokratisch legitimierten Gesetzgeber. Nur er verfügt über eine Einschätzungsprärogative, die Behörden und Gerichte nicht für sich in Anspruch nehmen können.
Ein Kopftuchverbot in öffentlichen Schulen als Element einer gesetzgeberischen Entscheidung über das Verhältnis von Staat und Religion im Schulwesen kann die Religionsfreiheit zulässigerweise einschränken. Diese Annahme steht im Einklang mit Art. 9 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Rechtsstaatsprinzip und Demokratiegebot verpflichten den Gesetzgeber, die für die Grundrechtsverwirklichung maßgeblichen Regelungen selbst zu treffen. Dies gilt vor allem dann, wenn die betroffenen Grundrechte - wie hier -von der Verfassung ohne Gesetzesvorbehalt gewährleistet sind und eine Regelung damit notwendiger Weise ihre verfassungsimmanenten Schranken bestimmen und konkretisieren muss.
Solche Regelungen sind dem Parlament vorbehalten, um sicher zu stellen, dass Entscheidungen von solcher Tragweite aus einem Verfahren hervorgehen, das der Öffentlichkeit Gelegenheit bietet, ihre Auffassungen auszubilden und zu vertreten und die Volksvertretung dazu anhält, Notwendigkeit und Ausmaß von Grundrechtseingriffen in öffentlicher Debatte zu klären.

2. Die Richter Jentsch, Di Fabio und Mellinghoff führen im Sondervotum aus:

a. Der von der Senatsmehrheit angenommene Gesetzesvorbehalt für dieBegründung von Dienstpflichten im Zusammenhang mit der Religions- und Weltanschauungsfreiheit des Beamten wurde bislang weder in Rechtsprechung und Literatur noch von der Bf selbst vertreten. Aufgrund dieser Annahme bleibt die verfassungsrechtliche Grundsatzfrage nach der staatlichen Neutralität im Bildungs- und Erziehungsraum der Schule unentschieden.
Außerdem kommt es zu einer im Grundgesetz nicht angelegten Fehlgewichtung im System der Gewaltenteilung sowie imVerständnis der Geltungskraft der Grundrechte beim Zugang zu öffentlichen Ämtern.
Schließlich gibt die Senatsmehrheit dem Landesgesetzgeber keine Möglichkeit, sich auf die von ihr angenommene neue Verfassungsrechtslage einzustellen und versäumt es, Rechtsprechung und Verwaltung zu sagen, wie sie bis zum Erlass eines Landesgesetzesverfahren sollen.

Dazu heißt es in der abweichenden Meinung im Einzelnen: Der Grundrechtsschutz für Beamte ist funktionell begrenzt.

Wer Beamter wird, stellt sich in freier Willensentschließung auf die Seite des Staates. Beamtete Lehrer genießen bereits vom Ansatz her nicht denselben Grundrechtsschutz wie Eltern und Schüler: Sie sind vielmehr an Grundrechte gebunden, weil sie teilhaben an der Ausübung öffentlicher Gewalt.

Die Dienstpflicht des Beamten ist die Kehrseite der Freiheit desjenigen Bürgers, dem die öffentliche Gewalt in der Person des Beamten gegenübertritt.

Mit Dienstpflichten sichert der Staat in seiner Binnensphäre die gleichmäßige, gesetzes- und verfassungstreueVerwaltung. Die Rechtsstellung des Bewerbers, der keinen Einstellungsanspruch hat, darf nicht aus der Abwehrperspektive eines Grundrechtsträgers gegen den Staat gesehen werden.
Mit dem freiwilligen Eintritt in das Beamtenverhältnis entscheidet sich der Bewerber in Freiheit für die Bindung an das Gemeinwohl und die Treue zu einem Dienstherrn.

Die Geltung des Gesetzesvorbehalts im Schulrecht ist in der Vergangenheit nicht zum Schutze der beamteten Lehrer, sondern um der Eltern und Schüler willen ausgeweitet worden. Wer im grundrechtsverpflichteten Lehrer primär den Grundrechtsträger sieht und seine Freiheitsansprüche damit gegen Schüler und Eltern richtet, verkürzt deren Freiheit.

Beamte sollen freiheitsbewusste Staatsbürgersein, sie sollen zugleich aber den grundsätzlichen Vorrang der Dienstpflichten und den darin verkörperten Willen der demokratischenOrgane achten. Das Beamtenverhältnis als besondere Nähebeziehung zwischen Bürger und Staat ist gerade keine vom Grundrechtsanspruch des Beamten geprägte Rechtsbeziehung. Die hier zu beurteilende Eignungsbeurteilung darf nicht mit einem Eingriff in die Glaubensfreiheit verwechselt werden.

Die Neutralitätspflicht des Beamten ergibt sich aus der Verfassung selbst. Die Begründung der Senatsmehrheit ist deshalb mit grundlegenden Aussagen der Verfassung zum Verhältnis von Gesellschaft und Staat nicht vereinbar. Verkannt wird insbesondere die Stellung des öffentlichen Dienstes bei der Verwirklichung des demokratischen Willens.

Im Einzelnen heißt es dazu: Wer Beamter werden will, strebt die Nähe zur öffentlichen Gewalt an undbegehrt - wie die Bf - die Begründung eines besonderen Dienst- und Treueverhältnisses zum Staat.
Diese Pflichtenstellung überlagert den grundsätzlich auch für Beamte geltenden Schutz der Grundrechte, soweitAufgabe und Zweck des öffentlichen Amts dies erfordern.
Die dem Beamten obliegenden Verpflichtungen sind entscheidend für das Vertrauen der Bürger in die Erfüllung der Aufgaben des demokratischen Rechtsstaats. Hieraus folgt das Neutralitäts- und Mäßigungsgebot der Beamten, das der grundsätzlichen Neutralitätspflicht des Staates auch für den religiösen und weltanschaulichen Bereich entspricht.
Es kennzeichnet das Berufsbeamtentum, dass der Dienstherr Dienstpflichten nach den jeweiligen Bedürfnissen einer rechtsstaatlichen und sachlich wirksamen Verwaltung festlegt. Diese Prinzipien gelten unmittelbar von Verfassungs wegen. Die Anforderungen an Zurückhaltung und Neutralität des Beamten bedürfen deshalb weder allgemein noch im Schulverhältnis weiterer gesetzlicher Konkretisierung.

b. Nach diesen Maßstäben ist das von der Bf begehrte kompromisslose Tragen des Kopftuchs im Schulunterricht mit dem Mäßigungs- und Neutralitätsgebot eines Beamten nicht vereinbar.

Um die Eignung eines Beamtenbewerbers zu verneinen, bedarf es keiner "konkreten Gefährdung des Schulfriedens". Diese Annahme verkennt den Beurteilungsmaßstab für die Eignungsbeurteilung. Die Entfernung eines Beamten auf Lebenszeitaus dem Dienst wegen Verletzung seiner Dienstpflichten ist nur eingeschränkt möglich. Deshalb muss der Dienstherr bereits zuvor imRahmen der Eignungsprüfung dafür sorgen, dass niemand Beamter wird, der nicht die Gewähr dafür bietet, die aus Art. 33 Abs. 5 GG folgenden Dienstpflichten einzuhalten.
Auch auf eine abstrakte Gefahrenlage kommt es in einem solchen Konfliktfall nicht an. Es widerspricht vielmehr dem beamtenrechtlichen Funktionsvorbehalt, wenn sich der Staat gegen seine eigenen Beamten, die ihn verkörpern und durch die er handelt, auf die polizeirechtliche Gefahrenschwelle berufen müsste, um deren Verhalten im Dienst zu reglementieren. Zur Konkretisierung einer Dienstpflicht von Beamten bedarf es auch nicht des wissenschaftlich-empirischen Nachweises einer Gefahrenlage.
Durch die Verwendung signifikanter Bekleidungssymbole erscheint ein Konflikt in nachvollziehbarer Weise oder sogar naheliegend. Davon sind die Fachgerichte zu Recht ausgegangen.
Das Kopftuch, getragen als kompromisslose Erfüllung eines von der Beschwerdeführerin angenommenen islamischen Verhüllungsgebotes der Frau, steht gegenwärtig für vieleMenschen innerhalb und außerhalb der islamischen Religionsgemeinschaft für eine religiös begründete kulturpolitische Aussage, insbesondere dasVerhältnis der Geschlechter zueinander betreffend. Die Senatsmehrheithat diesem Umstand keine ausreichende Bedeutung zugemessen. Sie hat sich deshalb auch nicht damit auseinandergesetzt, ob die Auffassung, eine Verhüllung der Frauen gewährleiste ihre Unterordnung unter dem Mann, offenbar von einer nicht unbedeutenden Zahl der Anhänger islamischen Glaubens vertreten wird und deshalb geeignet ist, Konflikte mit der auch im Grundgesetz deutlich akzentuierten Gleichberechtigung von Mann und Frau hervorzurufen.

c. Der baden-württembergische Landtag hat ausdrücklich bekundet, aus Anlass des Falles der Bf kein formelles Gesetz zu erlassen. Dies übergeht die Begründung der Senatsmehrheit. Die dem Landesgesetzgeber anheimgestellte Aufgabe, sich unmittelbar aus Verfassungsrecht ergebende Beschränkungen deklaratorisch nachzuzeichnen, ist aber nicht seine Sache, zumal ein solches Gesetz möglicherweise in späterenVerfahren vor dem Bundesverfassungsgericht erneut auf den Prüfstand gestellt wird.
Zudem wird die Volksvertretung im Unklaren gelassen, wie eine verfassungsgemäße Regelung aussehen kann. Die offenen Fragen zählt das Sondervotum auf.
Schließlich kann sich der Landesgesetzgeber nicht auf die angenommene neue Verfassungsrechtslage einstellen. Rechtsprechung und Verwaltung erfahren nicht, wie sie bis zum Erlass eines Landesgesetzes verfahren sollen.

Der Senat lässt eine verfassungsrechtliche Grundsatzfrage trotz Entscheidungsreife unbeantwortet. Mit der unerwarteten Forderung der Senatsmehrheit nach einem Gesetzesvorbehalt für die Begründung von Dienstpflichten wird das auch dem Staat als Verfahrensbeteiligtem zustehende Prozessrecht auf rechtliches Gehör nicht hinreichend berücksichtigt. Ein solcher Gesetzesvorbehalt war auch in der mündlichen Verhandlung nicht ernsthafter Gegenstand des Rechtsgesprächs. Das Land hätte dazu Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten müssen. Angesichts dieses prozessualen Versäumnisses hätte dem Landesgesetzgeber auch nach der bisherigen verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zum Gesetzesvorbehalt eine angemessene Übergangsfristgewährt werden müssen. Dies hätte die Auswirkungen einer Überraschungsentscheidung gemindert. Der Landesgesetzgeber hätte dann auch für den vorliegenden Fall eine wirksame gesetzliche Grundlage schaffen können.

Schließlich bleibt auch unklar, wie das Bundesverwaltungsgericht mit dem zurückverwiesenen Rechtsstreit weiter verfahren soll. Einerseits müsste es auf der Grundlage der Annahme der Senatsmehrheit der Klage zur Zeit stattgeben, was zu beamtenrechtlich vollendeten Tatsachen führen würde, andererseits käme auch eineAussetzung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens in Betracht, bis der Landtag eine lehrerdienstrechtliche gesetzliche Grundlage geschaffen hat.

Urteil vom 24. September 2003 - Az. 2 BvR 1436/02 -Karlsruhe, den 24. September 2003